..:: UNTER DEM PFLASTER ::..
Der Untergrund wird sicher. Am 8. Oktober präsentierte die Stadt Wien ein “Sicherheitspaket” für die Stationen der Unterpflasterstraßenbahnlinie am Südgürtel. Laut Bezirkszeitung, ein feierlicher Moment. Bürgermeister Michael Luwig, Peter Hanke, Bezirkschefin von Margareten Silvia Janković, Vertreterinnen der Wiener Linien und der Stadtwerke stellten der Presse vor Ort in der Eichenstraße das Paket vor.
Bis 2029 werden entlang der Strecke in den Stationen Eichenstraße, Matzleinsdorfer Platz, Blechturmgasse, Kliebergasse und Laurenzergasse um kolportierte 4 Millionen Euro 142 Kameras installiert, neue barrierefreie Notfallknöpfe angebracht und bei der Eichenstraße soll ein “hoher Zaun” zwischen den Gleisen errichtet werden. Eine “Modernisierung”.
Dies sei notwendig, um das “Sicherheitsgefühl” zu steigern, “maximale Sicherheit” zu gewährleisten, man nehme damit die Sorgen der Bewohner und Bewohnerinnen ernst und mache die Öffis “noch sicherer”.
Außerdem befinden sich alle genannten Untergrund-Orte in einem Stadtentwicklungsgebiet. Mit der U2 Station Matzleinsdorferplatz und den “zahlreiche(n) Bauprojekte(n) in diesem Gebiet” werde das Verkehrsaufkommen noch erheblich steigen.
Das heißt übersetzt: Wenn Milliarden in eine U-Bahn fließen, eine Aufwertung (böse Zungen sprechen von Gentrifizierung) passiert und noch mehr Leute die Öffis verwenden, soll die unbeliebte Ustraba mit der neuesten Sicherheitstechnologie versehen werden. Ich meine, das ist genau der Verdrängungsdruck der mit Aufwertungsprozessen einher geht.
Seit 2005 gibt es flächendeckende Videoüberwachung (mit Aufzeichnung und nicht nur Live-Bilder) in den Wiener Linien. 2018 waren es bereits rund 14.000 Kameras.
Warum solche Vorhaben als Modernisierung bezeichnet werden, ist mir ein Rätsel – hauptsächlich profitieren die Hersteller der Sicherheitstechnologie und die Politik kann sich inszenieren. In den 1950er und 1960er Jahren haben die Stadtpolitiker (innen gab es damals fast gar nicht) als Zeichen von (väterlicher) Fürsorge und – ja da stimmt das Wort – Modernisierung (=Fortschritt) die unbeliebten Verkehrsbauwerke, Passagen, Kreisverkehre und Autobahnen in umjubelnden Eröffnungszeremonien den Wienerinnen und Wienern geschenkt – Symbole des Aufschwungs, Symbole der Sicherheit und Stabilität. Mit Neonlicht, Fliesen und unterirdischen Passagen in die neue Zeit. Heute präsentieren Stadtpolitiker:innen feierlich ihre Sicherheitspakete für unverstandene Orte.
Freilich sind die Passagen in die Jahre gekommen, man hätte Sie vor dreissig Jahren als UNESCO Weltkulturerbe inklusive Südbahnhof erhalten und renovieren müssen – aber statt dessen beherrscht a-historisches Gerede von Unorten und das – wiewohl feministisch begründete aber hauptsächlich männlich nachgeplapperte (instrumentelle) Reden von Angsträumen die Sicht auf diese historische bedeutsame Gegend – das ist extrem frustrierend. Die Geschichte wird überhaupt nicht reflektiert. Keine Rede von der Stadtgrenze, dem Frachtenbahnhof, den Arbeiter*innen in Margareten/Favoriten, den historischen Straßenbahnlinien, der autzentrierten Stadtplanung in der Nachkriegszeit – die Verdrängung aller anderen Verkehrsarten in den Untergrund, unter das Pflaster und die abenteuerliche Überantwortung des Straßenniveaus ausschließlich für den motorisierten KFZ-Verkehr, das ist die Grundlage des Horrors – und womöglich die spätere Aufgabe des fordistischen Versprechens, der Wechsel zu Austerität, Entsicherung und Sozialabbau, der sich in Ängsten spiegelt.
Die Verkehrsbauwerke selber waren vielleicht von Anfang an Angsträume, sicherlich waren sie nie besonders populär und funktionierten nur eine kurze Zeitspanne als Symbol für Sicherheit und Ordnung – Passagen und Stadtplanung von Männern erdacht und gebaut, für eine patriachale fordistische Ordnung – in der (Stichwort Gastarbeiter*innen) es immer auch weniger priviligierte Arbeiter*innen und Unterschichten gab – die sich zb. gerne am Südgürtel trafen, dort ihr Freizeit verbrachten dort wohnten und von dort verreisten. Ab den 1990er Jahren wurden die Passagen sukzessive geschlossen, umgewidmet, zugeschüttet oder aufwendig umgestaltet (gesäubert).
Was ist die Ustraba? Ganz einfach: Lange Zeit haben die Stadtplaner in Wien gedacht, es bräuchte keine U-Bahn. Weil es nämlich ein enormes Straßenbahnnetz gab, das im 19. Jahrhundert schnell gewachsen war und viel umfangreicher als heute war. Das hätte auch so weiter gehen können –
aber in der Nachkriegszeit beherrschte die sog. autozentrierte Stadtplanung (man könnte auch sagen die Auto-Industrie und Petro-Industrie) den Zeitgeist. Stichworte waren Entmischung, Autogerechtigkeit und offene Lebensadern für den modernen Großstadtverkehr. Manche der Verkehrsplaner (und ihrer Konzepte) gehen direkt zurück zu Ansätzen in der NS-Verkehrspolitik. (vgl.: Bernhard Reichow, u.a.).
Die Straßenbahnen wurden zwar nicht alle in der Donau versenkt (wie das in Los Angeles geschah), aber reduziert und schließlich zum Teil unter die Erde verlegt, unter das Pflaster gelegt. Zusätzlich wurde allen anderen Verkehrsmitteln (Fahrräder, gezogene Leiterwägen, etc.) und Fußgeher*innen (bzw. spielenden Kindern, etc.) verboten die Straße zu verwenden. Bis heute ist in weiten Teilen diese Verkehrsordnung und Verkehrsvorstellung in Kraft.
Was soll man sagen? Bringt die Videoüberwachung jetzt die gewünschte Sicherheit oder ein Gefühl von Sicherheit? Fühlen sich die Leute heute durch die Kameras sicherer als vor 20 Jahren?
Welche Art von Unsicherheit wird da überhaupt behandelt? Geht es um ein Unwohlsein, weil Drogen (Tabletten, etc.) verkauft werden und suchtkranke Menschen oder generell eher nicht-reiche Menschen und tentendziell arme Arbeiter*innen anzutreffen sind? Die Polizei bestätigt ja regelmäßig, dass die Kriminalität in den besagten Stationen eigentlich gering ist. (Hier müsste ich noch mal genauer nachrecherchieren).
Und die eigentlich viel wichtigere Frage ist: Wie kann an Verkehrsknoten und im Verkehr eine reale Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer*innen realisierrt werden – dabei geht es um gesellschaftliche Visionen, nicht-technische Aspekte von Infrastruktur und um ein kulturelles und demokratisches Grundverständnis: Vielleicht fühlten sich die Leute sicherer, wenn Sie bessere Löhne bekommen, öfters ins Café gehen können, in demokratische Prozesse eingeschlossen sind oder wenn es am Verkehrsknoten lustige Spielplätze, Nachbarschaftszentren, Gesundheitseinrichtungen oder andere Läden (Second Hand Laden, Reperaturgeschäft, Kantinen, Restaurierungswerkstatt, etc.) gibt?
Es gibt den berühmten Sponti-Spruch: Unter dem Pflaster, der Strand. Damit ist eine Utopie auf ein besseres Leben verknüpft. Das Pflaster selber könnte auch als interessante durchlässige Schicht interpretiert und konzeptualisiert werden – als heilvolle (und nicht versiegelte) Ebene.
Anyways. Ich bin fest überzeugt, dass Stabilität und Sicherheit (im Verkehr) keiner technischenr sondern eine demokratiepolitischen Lösung bedarf und eine Frage der sozialen Gerechtigkeit ist – solange sozusagen die SUV-Oberschicht und eine ominöse Mittelschicht, die sich krankhaft mit Ordnung/en identifiziert nicht mit sozialer Gerechtigkeit (Stichwort: Wahlrecht für alle Wiener Arbeiter*innen) auseinander setzen muss – so lange werden gesellschaftliche Probleme und die grundlegenden Probleme unserer Zeit (Herrschaft der Schnelligkeit, Recht der Starken, Ausbeutung und Zerstörung von Mensch und Natur, Rassifizierung/Aufteilung von Menschen entlang kultureller Zuschreibungen, antisemitische Weltbilder/Erklärungen, etc.) prolongiert und keiner Lösung näher gebracht.
Wer profitiert davon? Zumindest Siemens. Angst, Hass und Ekel als Geschäftsmodell.