ZUM LEITBILD

ZUM LEITBILD

Anmerkungen zum Planungsprozess Matzleinsdorfer Platz Süd von Tomash Schoiswohl

Während des ersten Corona-Lockdown im April 2020 beschloß die Stadtentwicklungskommission (STEK) die Städtebaulichen Leitlinien für das Planungsgebiet “Matzleinsdorferplatz Süd”. Die Kommission schaffte damit die Grundlage für weitere Planungschritte und für das kommende städtebauliche Leitbild.

Zu einer Diskussion sei es laut Auskunft der MA21 dabei nicht gekommen. Das ist bedauerlich, weil der Beschluss weitreichende Folgen für den Matzleinsdorferplatz hat. Und zwar für den gesamte Platz, den Verkehr, das Verkehrsbauwerk und die ganze Umgebung. Das Leitbild wird vorgeben, wie die Gegend in Zukunft ausschaut, wie der Platz sein wird.

Bedauerlich ist die fehlende Diskussion, weil das zeigt, wie gering das Interesse und der Wille ist, sich differenziert mit signifikanten Orten und komplexen Infrastrukturen auseinander zu setzen. Wieder einmal wird der Matzleinsdorferplatz – so scheint es – missverstanden und ahistorisch als häßliches Entlein abgehandelt.

Dabei enthielten die Leitlinien genügend Punkte für kontroversielle Diskussionen und bieten ausreichend Stoff für kritische Anmerkungen. Im folgenden Text – die Kurversion einer ausführlicheren Kritik der Leitlinien – gebe ich entlang von ausgewählten Punkten einen Überblick über das Planungsvorhaben.

Ich stelle das Planungsgebiet vor, spreche über Partizipation im Planungsprozess, diskutiere beispielhaft für Partizipation die geplante kulturelle Nutzung auf dem Areal. Dann geht es um das Thema Freiräume (Grünräume), den Verkehr und um die geplanten Hochhäuser. Abschließend skizziere ich Visionen für den Platz.

Das Planungsvorhaben bezieht sich auf den Matzleinsdorferplatz, insbesondere auf das Gebiet südlich der Bahnstrecke, im Umfeld der Gudrunstraße, des Evangelischen Friedhofs, der evangelischen Kirche und der Triesterstraße. Alles in Favoriten gelegen.

Anstoß dazu ist der Bau der U-Bahn Station Matzleinsdorfer Platz. Das weckte Interesse am Platz und an den verfügbaren “freien” Flächen. Nach Fünfzig Jahren Desinteresse rückt der Platz wieder in den Fokus von Stadtplanung. Das hat auch mit der städtebaulichen Entwicklung auf dem ehemaligen Südbahnhofgelände und dem sog. “Neuen Landgut” zu tun.

Dabei geht es um drei Grundstücke, für die eine neue Flächenwidmung im Gemeinderat beschlossen werden soll. Zwei kleiner Grundstücke liegen links und rechts der Triesterstraße unmittelbar im Nahbereich des zukünftigen U-Bahn-Ausgangs. Das größere Grundstück befindet sich aber östlich der Gudrunstraße, oben entlang der Bahntrasse in Richtung Waldmüllerpark und ein weiteres kleineres privates Grundstück (Baufeld 1A) befindet sich zwischen Gudrunstraße und Hotel Rainer.

Nähere Informationen zu den bestehenden Strukturen, den Eigentumsverhältnisse und genauen Lagen der Baufelder finden Sie in der Langversion des Texts.

Zwei allgemeine Fragen/Anmerkungen möchte ich hier zu den fraglichen Grundstücken aufwerfen:

1

Die Flächenwidmung soll im Jahre 2026 passieren, dennoch sind jetzt schon alle drei Grundstücke als “Baufelder” bezeichnet und mit Details zu den Bebauungen versehen; könnte es nicht theoretisch sein, daß ein Grundstück als Grünland gewidmet und als Parkanlage, Erholungsgebiet oder Sport und Spielplatz oder gar Ausstellungsgelände genutzt wird?

Auf Baufeld 1 befindet sich schon jetzt eine Kleingartensiedlung mit vielen Bäumen, die offene Fläche war lange übersät von Disteln, Buschwerk und Gras – vor wenigen Jahren wurde das Gelände und die Gleisanlagen dort weitgehend asphaltiert. Dennoch ist nicht nachvollziehbar warum alle Grundstücke bereits als Baufelder definiert worden sind. Pikanterweise wurde zudem Baufeld 1A im Jahre 2008 neu gewidmet und dabei wurde unter anderen Punkten festgelegt, daß auf der Fläche die Errichtung von Wohnungen untersagt ist.

2

Die zweite Anmerkung ist wesentlich und betrifft eine stadtpolitische Diskussion, die viel zu wenig geführt wird: das weitläufige Grundstück entlang der Bahnstrecke ist im Eigentum der ÖBB. Es gehört uns allen. Die U-Bahn wird von der Allgemeinheit finanziert und das kleinere Grundstück zwischen Friedhof und Triesterstraße (ehemalige BP Tankstelle) gehört direkt der Stadt. Müsste es nicht oberste Priorität im Planungsprozess sein, die Grundstücke im besten Sinne für die Allgemeinheit zu nutzen und als soziale und offene demokratische Orte zu entwickeln?

Zumal zahlreiche Grundstücke in Wien, ehemalige Bahngründe aber auch Grundstücke der Stadt Wien verkauft, privatisiert und so einer öffentlichen Nutzung entzogen wurden. Im Umgang mit solchen Grundstücken dürfte nicht die gewinnbringendste Veräußerung, sondern die beste Nutzung für die Stadtbewohner*innen als oberste Handlungsmaxime gelten.  

Wenn schon die Grundstücke als Baufelder und als Bauland begriffen werden, dann wäre es ja auch denkbar echten sozialen Wohnbau zu machen oder das Grundstück nur für gemeinschaftliche Bau- und Wohngruppen zu reservieren.

Von den 28.390 Quadratmetern, die neu gewidmet werden stehen 22.361 im Eigentum der ÖBB und der Stadt Wien und nur 6.029 im privaten Eigentum. Es bleibt zu hoffen, daß die Grundstücke öffentlich bleiben, nicht der Allgemeinheit entzogen werden und tatsächlich für eine soziale, kulturelle und demokratische Nutzung geöffnet werden.

Es ist zunehmend unverständlich weshalb die Allgemeinheit alle Kosten, Risiken und Schäden einer privatkapitalistischen Ökonomie trägt und die Kapitalisten und Kapitalistinnen fast ohne Risiko und auf Staatgarantie ungeheurliche Profite akkumulieren.

Das unmittelbare Planungsgebiet bezieht sich auf die drei Baufelder, die Leitlinien und das Leitbild umfassen allerdings den gesamten Verkehrsknoten, vor allem das südliche Umfeld des Matzleinsdorfer Platzes. Bis heute ist gut ersichtlich, daß die Gegend historisch hauptsächlich vom starken Verkehr und vom Linienwall, der ehemaligen Grenzanlage geprägt ist. Die Eisenbahn hat im 19. Jahrhundert die Grenze fortgeschrieben und Favoriten weiterhin von den sog. Innenbezirken abgetrennt. Fast zweihundert Jahre lang war am Matzleinsdorfer Platz das Tor in die Stadt, eine regelrechte Grenzstation. Im Planungsvorhaben ist eines der Ziele die “Schaffung eines attraktiven Entrees zum 10. Bezirk” aber nicht die Beseitigung und Überwindung der Abgegrenztheit.

Partizipation

Das Planungsprojekt “Matzleinsdorfer Platz Süd” war im ersten Schritt als “kooperatives Verfahren” konzipiert. Die Resultate und Vorschläge aus diesem Prozess wurden von der STEK als Leitlinien beschlossen.

Ein kooperatives Verfahren ist laut MA 18 ein “Planungsinstrument, bei dem PlanerInnen sowie andere relevante AkteurInnen unter Einbindung von BürgerInnen direkt kooperieren.” Ziel sei es die “NutzerInnenbedürfnisse der AnrainerInnen und zukünftigen AlltagsnutzerInnen” zu erfassen.

Dahinter steht ein Masterplan für partizipative Stadtentwicklung, Beteiligungsmodelle, die zum Teil verpflichtend vorgeschrieben sind, wenn zum Beispiel Grünland in Bauland gewidmet werden soll oder Hochhäuser geplant sind oder eine Bruttogeschoßfläche von über 30.000 Quadratmeter geplant ist.

Am Matzleinsdorfer Platz sind gleich mehrere dieser zwingenden Voraussetzungen gegeben. Dennoch ist die Partizipation bislang auf äußerst niedrigen Niveau passiert und fast ausschließlich als Information konzipiert gewesen. Das wird sich voraussichtlich auch nicht ändern. Dabei sind selbst die wenigen partizipativen Angebote die es gab nicht ideal verlaufen. Das einzige BürgerInnen-Gespräch geschah bislang in Form einer Ausstellung, ausgerechnet in der Hotel-Lobby des Hotel Rainer, also in den Privaträumen eines beteiligten Investors.

Der Baubeginn auf der Grundstücken ist wahrscheinlich erst im Jahre 2027, aber dennoch hat man bei diesem Verfahren von Anfang an das Gefühl, als seien alle wichtigen Entscheidungen (über Hochhäuser, Bebauung, Nutzung, etc.) bereits von den jetzigen Eigentümern ausverhandelt – und bestensfalls noch mit dem Bezirk akkordiert wurden.

AnrainerInnen, NutzerInnen oder Personen, die seit vielen Jahren am Platz arbeiten und ihn erforschen haben in diesem Prozess keine Stimme – bei der Informationsausstellung im Frühjahr 2018 wurden die BesucherInnen aufgefordert Wünsche auf bunte Zettel zu schreiben: Am weitaus häufigsten wurde der Wunsch nach keinen (sic!) Hochhäusern geäußert. Und auch die Reduktion des Autoverkehrs und der dazu gehörigen Flächen rangierte ganz oben auf der Wunschliste.

Es ist sehr ernüchternd, wie in diesem Falle (und hier sind tatsächlich Hochhäuser geplant) Beteiligung mit halbherziger Information verwechselt wird. AnrainerInnen und NutzerInnen erhalten spärlich Informationen. Es ist nicht ersichtlich, wie die “angestrebten Nutzungen” auf den Grundstüken zu Stande gekommen sind.

Partzipation? Die Personen, die seit Jahren oder Jahrzehnten am Platz wohnen, dort arbeiten oder künstlerisch tätig sind, sich um den Platz gekümmert haben als noch keine U-Bahn den großen Mehrwert versprochen hat haben keine Stimme. Es fehlt ihnen Kapital. Sie sind ohne Macht.

Kulturelle Nutzung

Wenn die “Partizipation” hier einen Einfluss auf die Leitlinien genommen hat, dann nur sehr indirekt und sehr willkürlich. Am Baufeld 1 und auf Baufeld 3 soll laut Leitlinien beispielsweise die Erdgeschoßzone auch kulturell genutzt werden; Wir haben als MATZ*AG die Forderung nach einem Skulpturenpark, nach einem alternativen Baustoffzentrum oder nach einem zeitgenössischen Museum im FEUERWERK aufgestellt, um vor Ort über Verkehr und Geschichte von Matzleinsdorf, über Kunst und Kultur zu reflektieren.

Es ist zu befürchten, daß statt dessen das Bezirksmuseum Favoriten dorthin übersiedelt wird. In den Leitlinien steht, es werde angestrebt. Die Pläne dafür dürften noch unkonkret sein, das Bezirksmuseum Favoriten weiß bislang jedenfalls nichts von dem Vorhaben. Ohne den Bezirksmuseen zu Nahe treten oder die wertvolle Arbeit der Museen unter schwierigen Bedingungen schmälern zu wollen muss hier gesagt sein, daß der Fokus auf die Bezirksgrenzen anachronistisch anmutet und gerade am Matzleinsdorferplatz unpassend ist. Die Bezirksmuseen stehen zudem nicht im Ruf junge Menschen anzusprechen oder regelmäßig brennende Fragen der Zeit oder der Geschichtsvermittlung zu diskutieren.

Ich arbeite seit 20 Jahren an der Erforschung des Matzleinsdorfer Platzes und and der Konzeptualisierung eines zeitgemäßen Museums vor Ort. Das Museum heißt FEUERWERK. Matzleinsdorfer Museum für explosive Stoffe und Geschichte*n von unten. Dieses unbequeme Museum wollen wir am Matzleinsdorferplatz realisieren.

Freiraum

In den Leitlinien ist von “Freiraum” die Rede. Analysiert man aber was in den Leitlinien als Freiraum bezeichnet wird, so kann davon eigentlich keine Rede sein: der private Kirchenparkplatz und der zukünftige Ausgangsbereich bei der U-Bahn werden als Freiräume bezeichnet.

Warum in den Leitlinien dennoch so stark auf die Begriffe “Freiraum” und auf gewisse halb-öffentliche Räume und Qualitäten verwiesen wird ist klar: für die Projektentwickler und Investoren ist es aufgrund der klaren Vorgaben unumgänglich den Mehrwert, den allgemeinen Nutzen, die gute bauliche Strukur oder eine gute Verkehrsanbindung hervorzuheben. Ein außerordentlicher Mehrwert für die Öffentlichkeit ist laut “Fachkonzept Hochhäuser” verpfichtend vorgeschrieben. Das ist keine Option, sondern Voraussetzung für die Errichtung von Hochhäusern.

Deswegen werden “Freiräume” konstruiert, wo keine sind, die privaten Zwischenbereiche als “Grünräume” ausgemacht oder bereits existierende Parks und öffentliche Plätze als Bereicherung für die kommenden BewohnerInnen ins Leitbild mit aufgenommen.

Die Situation am Matzleinsdorferplatz, der horrende motorisierte Auto-Verkehr, der fehlende Grünraum, der Lärm, der Gestank, die sengende Hitze und die dichte Verbauung in der Gegend würde eine konsequente Nutzung als Grünraum,  die Erschaffung eines öffentlichen Parks, mit Wegen, Gärten und kleinteiliger kultureller Nutzung erfordern. Ein öffentlicher Park für alle.

Verkehr

In Zukunft führt die U-Bahn zum Matzleinsdorfer Platz. Das bedeutet allerdings nicht, daß der alles dominierende motorisierte Verkehr am Platz weniger werden wird. Im gesamten Text der Leitlinien findet sich interessanterweise kein einziges Mal das Wort “Auto”.  Es ist zwar ein paar Mal von MIV (motorisierter Individualverkehr) und von NMIV (nichtmotorisierte Individualverkehr) die Sprache und es gibt eine Absichtserklärung, daß im Zuge der Umbauten eine “Steigerung der Aufenhaltsqualitäten im öffentlichen Raum (Gudrunstraße, Kirchenvorplatz, Triester Straße)” und eine “Attraktivierung bestehender Wegeverbindungen” geschafft werden solle – auch von einem “Mobilitypoint” am Matzleinsdorfer Platz ist vage die Rede – aber es ist schwer vorstellbar, wie diese Ziele erreicht werden können, ohne den Autoverkehr, den motorisierten Verkehr und die dafür aufgewendeten Flächen zu reduzieren.

Die Leitlinien, die Ankündigungen des Bezirks und die ersten Wortmeldungen der neuen Verkehrsstadträtin Ulli Sima lassen darauf schließen, daß keine Reduktion des Autoverkehrs geplant ist, ziemlich sicher keine Spuren reduziert oder für andere Verkehrsteilnehmer umgewidmet werden. Zudem kann davon ausgegangen werden, daß mit dem Bau der Hochhäuser und der Errichtung von Gewerbe und Wohnen – und der damit einher gehenden verpflichtenden Errichtung von Autostellplätzen – das Verkehrsaufkommen eher noch steigen wird.

Der Matzleinsdorfer Platz ist ein Symbol für die sog. “autogerechte Stadtplanung”, das Verkehrsbauwerk wurde in zwei Phasen in den 1950er und 1960er Jahren so umgebaut, daß die Straße ausschließlich dem motorisierten Verkehr diente. Alle anderen Verkehrsmittel, der öffentliche Verkehr (bis auf die Autobusse), die FußgeherInnen und alle nichtmotorisierten VerkehrsteilnehmerInnen, Klein- und Kleinsttransporteure, fliegende HändlerInnen, spielende Kinder, usw. wurden durch bauliche Maßnahmen, durch die Verkehrsordnung und durch dementsprechende “Verkehrserzierhung” aus dem Straßenbild verdrängt.

Der Matzleinsdorfer Platz ist ein Sinnbild für den Irrsinn, den die Autokultur angerichtet hat. Ein Sinnbild für ein Lebensmodell, welches über Konsum, Auto und Lohnarbeit gesellschaftliche Teilhabe, Freiheit und Wohlstand innerhalb der widersprüchlichen Rahmenbedingungen des Kapitalismus versprach. Das private Auto steht für dieses (fordistische) Lebensmodell. Es steht zudem für die unheilvolle Verzahnung von Politik und Ökonomie, im Kontext von kapitalistischer Wachstumslogik und scheinbar unaufhaltbarer Umweltzerstörung.

Dieses Lebensmodell ist heute unplausibel und funktioniert nur mehr für wenige. Die niedrigen und mittleren Löhne stagnieren seit vielen Jahren. Schulden finanzieren den Konsum, soziale Sicherheiten sind durch Austeritätspolitik zerlöchert, die demokratische Mitbestimmung ist teilweise reduziert und zum Teil einfach nicht an neue Realitäten angepasst worden, was wiederum Tür und Tor für Ausbeutung, Diskriminierung und Ungleichheiten öffnet. In Wien regiert derzeit eine Regierung, mit einem Stimmenanteil von 356.140 Personen, das sind ~32 Prozent der Wahlberechtigten und nur 22 Prozent aller Wiener*innen im wahlfähigen Alter!

Es ist wahrscheinlich nicht falsch, wenn man behauptet, daß die EntscheidungsträgerInnen in Wirtschaft und Politik weiterhin an die heilende Kraft des kapitalisitschen Wirtschaftens, an den Konsum, an das Auto, (das Haus und die Kernfamilie) glauben wollen – aber offensichtlich kein Problem damit haben, sich vom Ballast der demokratischen Mitbestimmung und der sozialen Gerechtigkeit  zu befreien.

Anders gesagt: anscheinend ist es eher vorstellbar sich von Demokratie und sozialer Gerechtigkeit zu verabschieden, als von einer kapitalistischen Wirtschaftsweise. In den letzten 10 Jahren wurden zwar auf Staatskosten die Banken, der Autosektor, die Flughäfen, die Flugindustrie, der Immobilienmarkt oder der Handel vor dem Untergang gerettet, aber nicht ein Mal wurde bei den Milliardengeschenken auf eine Erhöhung demokratischer Mitbestimmung, auf gerechterer Lohnstrukturen oder auf die stärkere Berücksichtigung öffentlicher Interessen (wie Gesundheit, Klimagerechtigkeit, Menschenrecht auf Wohnen, etc.) gedrängt.

(Kaum etwas spiegelt dieses Missverhältnis, den Eigensinn und die rücksichtlose Doktrin des Neoliberalismus besser wider als der SUV.  Das Auto zum Schutz der – priviligierten – Familie, ein Auto zum Drüberfahren, das Vehikel zur Distinktion, zur Abgrenzung vom sozialen Morast, ein Auto als Panzer. Standesgemäß, möchte man sagen – im Neofeudalismus.)

Aber was hat das mit dem Planungsverfahren am Matzleinsdorfer Platz zu tun? Wer den Matzleinsdorfer Platz verstehen will, braucht nicht nur ein Wissen über die Geschichte des Platzes oder die Entstehung  des Verkehrsbauwerks, sondern auch ein Verständnis davon, welch verheerenden Auswirkungen die neoliberale Doktrin in den zurückliegenden Jahrzehnten an vielen Orten der Welt gehabt hat. Der Matzleinsdorfer Platz galt in den 50er und 60er Jahren als Inbegriff von moderner Stadtplanung und guter Ordnung – davon ist nichts geblieben. Da hat ein Bruch statt gefunden – der  noch nicht ausreichend reflektiert worden ist.

Autolyse

Es reicht nicht, den Platz als unschön, als Nichtort und Unort zu deklarieren, ihn attraktiver machen zu wollen aber dabei mit keinem Wort den Autoverkehr und die eigene Involvierung in den nämlichen Verkehr zu reflektieren.

Es bedarf einer politischen Analyse und einer kritischen Perspektive auf Verkehr und Stadtplanung – gerade auch um die Defizite innerhalb der repräsentativen Demokratie, die stark von technischer Abläufen beherrscht ist, zu reparieren. Kritisch würde in diesem Fall heißen, den Blick auf soziale Aspekte des Verkehrs, auf historische Entwicklungen zu legen, den komplizierten Verflechtung zwischen kapitalistischer Ökonomie, Infrastruktur und Macht auf den Grund zu gehen.

Beim Planungsverfahren Matzleinsdorfer Platz Süd wäre ein hohes Maß an Mitbestimmung von lokalen Akteuren/Akteurinnen und von AnrainerInnen angebracht gewesen. Sie hätten dem Planungsprozess mit ihrem Wissen gut getan. Da ist sehr wenig geschehen.

Wir werden sehen, ob das städtebauliche Leitbild Matzleinsdorfer Platz Süd in wesentlichen Punkten im Vergleich zu den Leitlinien noch umgeschrieben, konkretisiert und verbessert wird – zumindest wird Matzleinsdorfer Platz weiterhin ein gutes städtebauliches Anschauungsbeispiel bleiben und zeigen, wie ernst es der Stadtregierung mit den Ankündigungen von mehr  Demokratie, Transparenz und klimafreundlicher Stadtentwicklung und Verkehrspolitik wirklich ist.

Die neue Stadtregierung hat versprochen der Versiegelung von Flächen entgegen zu wirken, Grünräume, Gstätten und Parks zu erhalten bzw. neu zu schaffen, Hitzeinseln konsequent zu bekämpfen. Alles diese Aspekte – inklusive einer stärkeren demokratischen Einbindung der Allgemeinheit und einer weiteren Übernahme von sozialer & kultureller Verantwortung – könnte man am Matzleinsdorferplatz Süd – zum Teil sehr einfach – realisieren. Das Baufeld 1 müsste dafür kaum verändert werden. Das FEUERWERK existiert schon.

Es ist allerdings kein gutes Zeichen, daß die städtebaulichen Leitlinien von der Stadtentwicklungskommission (STEK) ohne Diskussion beschlossen wurden. Trotz der geplanten Höchhäuser, trotz der kommenden Versiegelung, trotz der fehlenden Grün- und Freiräume, trotz der halbherzigen verkehrspolitischen Planungen, trotz der mangelhaften Partizipation.

Es ist noch Zeit. Die Flächenwidmung soll frühestens 2026 statt finden. Im nächsten Schritt wird ein städtebauliches Leitbild erarbeitet.

Leiwande Verkehrsformen, Freiräume und Parks, ein sozialer und kulturell genutzter Verkehrsknotenpunkt, neue Beziehungsweisen und Formen des solidarischen Miteinanders, die gemeinschaftliche Nutzung von öffentlichen Räumen, ein anderer Verkehr und eine gerechtere Welt, all das wird nicht von der Politik implementiert, sondern von unten erstritten und erkämpft. Die radikalen Transformation im Verkehrswesen, in Ökonomie und in Politik werden nicht durch technische Optimierungen, sondern durch Verknüpfungen sozialer Bewegungen und Kämpfe eintreten.

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