matz not mazda

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Im Jahr 2017 startet die MA21 das Entwicklungsprojekt “Südliches Umfeld des Matzleinsdorfer Platzes”. Das kooperative Verfahren wird vorbereitet. Die Bevölkerung wird im Frühjahr 2018 zu einer Informationsveranstaltung in das Hotel Rainer geladen.

Auf den Informationstafeln des Magistrats stehen die Grundeigentümer der fraglichen Grundstücke: Stadt Wien Liegenschafts Management, Unternehmensgruppe Sochor, Rainer Tower Projektentwicklungs GmbH und ÖBB Immobilien.

Die beiden erstgenannten Grundeigentümer halten das Eigentum an den beiden kleinen Gründen im Westen des Platzes. Der Stadt gehört das Grundstück der ehemaligen BP Tankstelle jenseits der Triesterstraße, der Gruppe Sochor gehört das Grundstück in unmittelbarer Nähe zum zukünftigen U-Bahn-Ausgang.

Es bleibt fraglich, ob die Stadt das langgezogene Grundstück der Öffentlichkeit, für einen Park, für Wege oder andere Nutzungen zur Verfügung stellen wird.

Interessanter ist allerdings das riesige Grundstück östlich des Verkehrsknotens, das sich im Besitz der ÖBB befindet. Nur ein relativ kleiner Bereich – ein Parkplatz – des projektierten Grundstücks ist im Besitz der Rainer Tower Projektentwicklungs GmbH.

Man darf sich fragen, warum dieser Parkplatz – sozusagen der Vorplatz zum Hotel Rainer – überhaupt in ein Planungsgebiet integriert wurde, für das die MA21 nun eine einheitliche Flächenwidmung vorbereitet?

Was für ein Bild ergibt sich daraus? Während die Eigentümer auf den Informationstafeln der Stadt Wien abgedruckt sind, erfährt man nichts über die Eigentümer, nichts über die Interessen, Absichten, etc. Unerwähnt bleibt auch, warum das Planungsgebiet gerade so und nicht anders gezogen worden ist. Man könnte auch fragen, warum das langgestreckte Planungsgebiet, von dem fast alles im Besitz der ÖBB sich befindet (also Gemeingut), unbedingt um das kleine Grundstück der Rainer Tower Projektentwicklungs GmbH erweitert wurde. Im Übrigen existieren auf dem Grundstück der ÖBB nicht nur mehrere Geschäfte, sondern auch eine Kleingartensiedlung.

Alles in allem kann man sich als Beobachter*in des Verfahrens nicht dem Eindruck verwehren, daß hier sozusagen vorgelagerte private Interessen von Anfang an in das “partizipative Planungsverfahren” mit eingeflossen sind.

Die Stadt Wien hat für die Entwicklung des Matzleinsdorfer Platz Süd den Slogan “Das Tor zu Favoriten” erdacht. Der Platz soll ein “attraktives Tor zu Favoriten werden”. Mit der U-Bahn wird eine reale Aufwertung des Platzes geschehen. Aufwertung und Attraktivierung sind keineswegs gleichbedeutend mit Verbesserung für die Allgemeinheit. In Wirklichkeit sind das Schlagwörter die für Gentrifizierung, für Vertreibung einkommensschwacher Bevölkerungsteile und für Privatisierung stehen.

Nach allen bisher bekannt gewordenen Plänen wird der Autoverkehr unvermindert weiter den Matzleinsdorfer Platz beherrschen und in Zukunft nicht weniger Platz einnehmen. Das ist eine vertane Chance.  Fußgeher_innen, Radfahrer_innen und andere nichtmotorisierte Verkehrsteilnehmer_innen werden sich auch in Zukunft nur unter schwierigen Bedingungen über den Verkehrsplatz bewegen können.

Welches Symbol wäre es, das weitläufige ÖBB-Areal einem privaten Investor zu übergeben, welcher mit dem Slogan “Hauptsache Auto” wirbt, mit dem Verkauf von Autos reich geworden ist, das “weit verbreitete Auto-Bashing” beklagt und regelmäßig für das Verbot von Demonstrationen eintritt, um einen andauernden ungebremsten motorisierten! Verkehrsfluß zu gewährleisten?

Verkehrsknoten sind interessante Orte. Als belebte Orte, an denen viel bewegt wird, Austausch geschieht und Öffentlichkeiten entstehen bilden sie einen Zeitgeist gut ab. Viele der städtischen Verkehrsknoten waren Grenzstationen. Die Grenzen haben sich verschoben, aber unvermindert dominieren Überwachung, selektive Kontrollen und Wegweisungen die großen innerstädtischen Verkehrsknoten. Zahlreiche Verkehrsorte – im Grunde öffentliche Räume – sind in riesige Einkaufstempel und Shoppingmalls umgebaut worden. Und weil Verkehrsorte (auch unerwünschte) Öffentlichkeiten ausbilden, viel Verkehr ist, die Aufmerksamkeit generiert, so eignen sich diese Orte auch hervorragend als Aufhänger für mediale und politische Inszenierungen resp. Kampagnen. Für mehr Sauberkeit, mehr Sicherheit, für mehr Überwachung. Reklame für polizeiliche Arbeit. Verkehrsorte werden als Orte der Unsicherheit, voll mit gefährlichen Fremden und unangenehmen Armen inszeniert – als NichtOrte, an denen sich kein redlicher Bürger, keine redliche Bürgerin je länger als notwendig aufhalten würde. Oder besser gesagt: umsteigen und shoppen ist OK, alle anderen Aktivitäten abseits von Konsumation sind unerwünscht bzw. tendenziell kriminell: warten, stehen, reden, sich treffen, sitzen, essen, trinken, singen, musizieren, lesen, etc.

Kommen wir zurück zum Autoverkehr. Verkehrsknoten könnten spannende Orte des Verkehrs, des Austauschs und Orte demokratischer Öffentlichkeit, der Kultur und des Spiels sein. Sind sie aber nicht. Das liegt – neben der restriktiven Ordnung und der Privatisierungen – auch am real existierenden Verkehr, einem lauten, stinkenden, giftigen und gefährlichen motorisierten Verkehr! Wenn Politiker_innen über Verkehrsknoten sprechen, wenn wir Normalsterbliche über Verkehrsorte nachdenken, dann gibt es einen blinden Fleck. Der lauteste Faktor wird interessanter Weise in der Wahrnehmung von Verkehrsknoten ausgeblendet und höchstens indirekt benannt, wenn von “NichtOrt”, “Verkehrshölle” oder dergleichen die Rede ist. Die Verkehrsorte, die Verkehrsknoten – von Praterstern, über Matzleinsdorfer Platz, bis hin zu den kleineren Kreuzungen – sind kaputte Orte, wegen dem Autoverkehr, dem motorisierten Verkehr! Der Matzleinsdorfer Platz ist weder häßlich, noch schön, weder Schandfleck, noch Schmuckstück, kein NichtOrt und auch kein einfacher Ort: der Platz ist ein komplexer Verkehrsknoten mit einer hochspannenden Geschichte (als Grenzort) und wurde in den letzten Jahrzehnten ganz einfach vom Autoverkehr ruiniert. Alle anderen Qualitäten sind deswegen flöten gegangen. Es heißt aber nicht, daß das ewig so bleiben wird.

Aus diesem Grund kämpfen wir für einen offenen Verkehrsort und gegen die Gewalt, die dem Platz durch den motorisierten Verkehr, durch eine autozentrierte Stadtplanung angetan wird. 

Wenn die Wiener Stadtverwaltung denkt, es sei in der derzeitigen Situation eine normale Geste den Platz einem Unternehmen zu überantworten, welches gerade mit dem Verkauf von Autos zu Reichtum gelangte, dann beweist das zwei Sachen: zum Einen die Verflechtung zwischen Wirtschaft, Politik und Automobil und zum Zweiten eine nahezu tragische Sehnsucht vieler Stadtpolitik_innen nach dem Wirtschafts- und Lebens-Modell der Nachkriegszeit. Man kann sich leicht ausrechnen, daß diese Gemengelage aus kaputten Retro-Phantasien und der gleichzeitigen Unfähigkeit Verkehr und Öffentlichkeit alternativ oder demokratisch zu denken, zu einem gröberen Problem führen kann.

Autokratischen Verkehrsknoten – kaputt, überwacht, eindimensional, kontrolliert und tot – sind nicht gut.

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